Wohnen als sicherer Ort für junge Geflüchtete in Coronazeiten?

Teil 1 der Artikelreihe "Abgehängt?! - Junge Geflüchtete in der Coronapandemie"

Wohnen als sicherer Ort für junge Geflüchtete in Coronazeiten?

Die Vorgaben „bleibt Zuhause“, „reduziert die sozialen Kontakte“ und „geht nur aus der Wohnung, wenn ihr unbedingt müsst“ sind sinnvolle Maßnahmen, um die Covid-19 Pandemie einzudämmen. Aber was bedeutet das, wenn junge Menschen mit Fluchterfahrung in einer Sammelunterkunft leben, trotz intensiver Suche keine eigene Wohnung finden, Freund*innen wegen der Kontaktbeschränkungen nicht treffen können?

Wir gehen hier der Frage nach, wie sich die Coronapandemie auf die Wohnsituation von jungen Geflüchteten auswirkt. Haben diese jungen Menschen überhaupt einen sicheren Ort? Können sie sich vor Ansteckung schützen? Können sie in Sammelunterkünften in Ruhe Deutsch lernen, „Homeschooling“ umsetzen, sich auf eine Prüfung vorbereiten? Welche Chancen haben sie, eine eigene Wohnung zu finden? Grundlage des Artikels sind Erfahrungen aus unseren Beratungsstellen und den Begleitungen durch ehrenamtliche Lots*innen. Schon vor der Coronapandemie waren die Wohnsituation in Sammelunterkünften und die Suche nach einer eigenen Wohnung in der Beratung ein zentrales Thema.

24. Coronaverordnung Bremen vom 11.02.2021 § 2a
„Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sind abweichend von § 2 Ab-satz 1 Satz 1 auch in Wohnungen nebst dem befriedeten Besitztum nur mit Angehörigen eines Hausstandes und einer weiteren Person aus einem anderen Hausstand erlaubt (…)“

Die eigene Wohnung als Rückzugsort

Der Auszug aus einer Sammelunterkunft/Jugendhilfeeinrichtung ist für die jungen Menschen mit Fluchterfahrung der erste Schritt in ein wirklich eigenständiges Leben. Sie wünschen sich einen Ort, an dem sie Ruhe finden und sich auf Schule, Ausbildung oder Sprachkurse konzentrieren können.

Daher hat der Umzug in eine eigene Wohnung für die meisten jungen Geflüchteten absolute Priorität. Leider steht dieser Wunsch im starken Kontrast zu den Möglichkeiten, die sich Menschen mit Fluchtgeschichte und oft unsicherem Aufenthaltsstatus auf dem Bremer Wohnungsmarkt bieten.

„Die jungen Menschen wollen einfach nur einen Ort zum Ankommen und Lernen.“
Jan Bahr, Projektkoordinator „Side by Side“

Altes Problem – neue Brisanz

Der Alltag vieler junger Ratsuchender besteht oft aus stundenlangem Suchen auf Internetseiten nach Wohnungsangeboten. Denn die meisten Bremer Wohnungsbaugesellschaften lehnen Menschen mit Duldung oder Aufenthaltsgestattung von vorneherein ab. Daher bleibt i.d.R. nur der private Wohnungsmarkt. Gerade hier ist die Situation sehr schwierig und es herrscht eine starke Konkurrenzsituation. In unserem Beratungscafé beschäftigen wir uns nahezu täglich mit diesen Problemen. Unser Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen hilft bei der Wohnungssuche: gemeinsam mit den Ratsuchenden recherchieren wir im Internet, antworten auf Wohnungsangebote, bereiten Besichtigungstermine vor.

Das nüchterne Fazit ist: Auf dem privaten Wohnungsmarkt überhaupt einmal eine passende Wohnung zu finden und dann auch noch zu einem Besichtigungstermin eingeladen zu werden, ist schon ein Glücksfall! Konkret: Dass überhaupt auf eine Anfrage reagiert wird, ist die absolute Ausnahme und die Vermieter*innen, die sich melden, laden meist zu Massenbesichtigungen ein, wo es nahezu unmöglich ist, einen persönlichen Eindruck zu hinterlassen.

Mit unserem Lotsenprogramm (Projekt „Side by Side“, gefördert durch die Aktion Mensch) begleiten wir junge Menschen zu Terminen. In 2020 haben wir ca. 60 Wohnungsbesichtigungen von privaten Anbieter*innen begleitet. Davon haben wir keine einzige positive Rückmeldung bekommen. Das ist ernüchternd für uns und die ehrenamtlichen Lots*innen, vor allem aber enttäuschend und entmutigend für die jungen Geflüchteten.

„Diese Situation ist für unser gesamtes Team eine Belastung, vor allem, weil man nur so wenig helfen kann!“
Jan Bahr, Projektkoordinator „Side by Side“

Zusätzliche Hürden bei der Wohnungssuche

Für die jungen Menschen ist die Wohnungssuche oft sehr kräftezehrend und deprimierend. Selbst wenn der/die Vermieter*in die Wohnung tatsächlich anbietet, kommt als nächstes die Hürde, eine Mietübernahmebescheinigung vom Amt für Soziale Dienste oder Jobcenter zu bekommen. In Zeiten vor der Covid-19-Pandemie konnten die jungen Ratsuchenden die Unterlagen zeitnah ihrem/ihrer Sachbearbeiter*in vorlegen und haben meist am selben Tag die Mietübernahmebescheinigung bekommen.

Durch die momentane Schließung des Amtes ist die Erreichbarkeit extrem schlecht und langwierig geworden. Worst case: die Wohnung wird an jemand anderen vergeben, weil die Bescheinigung des Amtes fehlt. Bei einem Ratsuchenden hat es drei Wochen gedauert, bis er die Mietübernahmebescheinigung bekommen hat. Hätte der Vermieter sich nicht selbst mit dem Amt für Soziale Dienste in Verbindung gesetzt, um die nötigen Angaben zu machen, wäre auch diese Wohnungssuche gescheitert.

Ein Problem ist hier auch die Kommunikation. Viele Ratsuchende verstehen nicht, warum vom AfsD Wohnungen abgelehnt werden oder wissen nicht, wer überhaupt der/die Sachbearbeiter*in ist.

„Ich bin Boden zerstört und kann nicht mehr!“
Ratsuchender

„Ich weiß nicht was Sozial möchte, ich erreiche meinen Sachbearbeiter nicht und meine Briefe werden nicht beantwortet.“
Ratsuchender

Menschenrecht Wohnen - Junge Geflüchtete werden aktiv

Grafik: Flyer für die Veranstaltung Menschenrecht Wohnen am 28. und 29. Oktober 2020In 2020 haben junge Geflüchtete aus Migrantenorganisationen wie dem Guineischen Verein für Integration und Bildung in Deutschland e.V. gemeinsam mit dem Bremer Jugendring und Fluchtraum Bremen e.V. eine Veranstaltung organisiert, um auf die Problematik aufmerk-sam zu machen und im Dialog mit Verantwortlichen und Politik ihr Menschenrecht auf Wohnen einzufordern. Pandemiebedingt musste die Veranstaltung leider zweimal abgesagt werden (Frühjahr und Herbst).

Leben in Notunterkünften – „Was ist das für ein Leben?!“

Als Konsequenz heißt dies für junge Menschen mit Fluchtgeschichte ein Leben in Notunterkünften oder anderen Übergangswohnheimen. Dort gibt es trotz Reduzierung der Belegungszahlen oft nicht die Möglichkeit, sich ausreichend zu schützen und Abstandregeln einzuhalten. Schon vor der Covid-19-Pandemie war das Leben in beengten Verhältnissen und fehlende Privatsphäre und die damit einhergehenden Beschränkungen extrem belastend. Durch die Pandemie hat sich die Situation verschärft. Soziale Kontakte zu haben und Freundschaften zu pflegen ist momentan nicht möglich.

Oft sind die Schule oder der Sprachkurs die einzigen Orte, die noch offen sind. In Bremen gibt es außerdem auch junge Geflüchtete, die noch nicht mal in einem ÜWH oder in einer anderen Übergangswohneinrichtung leben, sondern in Notunterkünften für wohnungslose Menschen untergebracht sind. Dort leben viele Menschen mit Suchtproblemen und es gibt fast nur Mehrbettzimmer, was die Situation noch belastender macht; ein Konzentrieren auf das Lernen oder die Ausbildung ist fast unmöglich.

Ein weiteres Problem ist die Selbstversorgung. In einigen Unterkünften können die Bewohner*innen kein Essen selbst zubereiten. Dies wirkt sich prekär auf die Versorgungsituation aus. Daher treffen sich viele bei Freund*innen, die bereits eine eigene Wohnung haben. Dort können sie einige Stunden entspannen und zusammen kochen. Die drohenden Sanktionen (Verstoß gegen die Kontaktbeschränkungen) nehmen viele dabei in Kauf.

Auch häufen sich die Berichte über Probleme und Auseinandersetzungen innerhalb der Wohnheime. Zwei Ratsuchende, die morgens in die Schule müssen, berichteten uns, dass ihre Mitbewohner in der Nacht laut sind und sie nicht schlafen können. Solche Schwierigkeiten können in der ohnehin angespannten Lebenssituation leider schnell eskalieren.

„Wenn ich das Wohnheim betrete, fange ich an zu weinen. Was ist das für ein Leben?“
Ratsuchender

"… nur wenn ich mich mit Freunde treffe, bin ich glücklich“
Ratsuchender

Lernen ohne Zugang zum Internet

Grafik: Logo Lotsenprogramm Side by SideEin weiteres sehr belastendes Thema, von dem uns Ratsuchende berichteten, ist die fehlende Ausstattung mit einem Internetzugang in den Heimen. Sie müssen dann alles über ihre eigenen Handytarife organisieren. Von vielen Onlineangeboten sind sie somit ausgeschlossen und sie haben damit eine sehr starke zusätzliche finanzielle Belastung. Hinzu kommt, dass viele Beratungsstellen aufgrund der Pandemie ihre persönliche Erreichbarkeit eingeschränkt haben und verstärkt Onlineberatung anbieten. Die Benachteiligung durch das Fehlen eines Internetzugangs wirkt sich also noch stärker aus als bisher.

Beratungscafé und Lotsenprogramm – Unterstützung für junge Geflüchtete

Grafik: Logo BeratungscaféUnsere Beratungsangebote sind weiterhin geöffnet: Mit Terminvereinbarung + Masken + Hygienemaßnahmen bieten wir im Mädchentreff jeden Montag von 15.30 bis 18.00 Uhr und im Beratungscafé jeden Mittwoch und Donnerstag zwischen 14:30 und 19:00 Uhr Unterstützung bei der Wohnungssuche und anderen Anliegen an (Bewerbung, Umgang mit Behördenschreiben etc.). Zusätzlich können wir über unser Lotsenprogramm Begleitungen zu Terminen organisieren.

Jan Bahr, Projektleiter „Side by Side“ (Lotsenprogramm)
22. Februar 2021

Erfahrungsbericht

„Die Situation ist sehr schwierig für mich. Ich kann nicht wie sonst zur Schule gehen. Im Moment gehe ich nur einmal in der Woche zur Schule. Also, alles ist momentan sehr schwierig. Auch dort, wo ich jetzt wohne, gibt es viele Einschränkungen. Es ist im Moment nicht erlaubt, Freunde einzuladen. Wenn ich mit Leuten quatschen will, muss ich nach draußen gehen und draußen ist es im Moment wirklich kalt. Manchmal bleibe ich zwei Tage am Stück drinnen. Ich bin nicht in der Lage, ins Fitness-studio zu gehen und Sport zu machen. Körperlich fühle ich mich kraftlos und weniger gesund. Ich bin immer noch auf der Suche nach einer eigenen Wohnung, denn dort, wo ich jetzt wohne, ist es keine richtige Wohnung, sondern nur eine Übergangslösung. Ich bin auf der Suche nach einem Ort, an dem ich für längerfristig wohnen kann. Die Lebensbedingungen sind nicht einfach, weißt du.“