Wegfall von Angeboten hinterlässt große Lücke im Alltag junger Menschen

Teil 5 der Artikelreihe "Abgehängt?! - Junge Geflüchtete in der Coronapandemie"

Wegfall von Angeboten hinterlässt große Lücke

Im letzten Jahr konnten etliche außerschulische Angebote, die von jungen Menschen regelmäßig genutzt werden, nicht stattfinden. Erst langsam werden sie wieder geöffnet. Für junge Geflüchtete bedeutet das Wegbrechen von Sprachkursen, Sprachcafés, Freizeitangeboten und Begegnungsorten eine einschneidende Lücke in ihrem Alltag. Darüber haben wir mit Mitarbeiter:innen von Jugendeinrichtungen und mit jungen Geflüchteten gesprochen.

Sprachkurse – reduzierte Teilnehmenden- und Stundenzahl

Ähnlich wie an den regulären Schulen mussten sie sich auch die Sprachschulen immer wieder auf neue Änderungen einstellen. Nach notwendigem Schließen im Frühjahr 2020 versuchte die Bremer Volkshochschule ab Sommer 2020 mit geeignetem Hygienekonzept wieder Präsenzveranstaltungen laufen zu lassen. Es sollten extra Räume angemietet werden, damit Menschen mit Abstand lernen konnten. Das war allerdings schwieriger als gedacht. Durch den Raummangel mussten die Teilnehmerplätze deutlich reduziert werden. Ersatzkurse wurden nicht angeboten.

Für viele junge Menschen, die Deutsch lernen wollten, war kein Platz mehr übrig. In sogenannten „Integrationskursen“, die sonst 18 bis 20 Teilnehmer:innen aufnahmen, waren oft nur noch 10 Plätze verfügbar.

Wer einen den wenigen begehrten Plätze bekommen hatte, musste sich auf Wechselunterricht einstellen. Jede Gruppe hatte nur noch an 2 statt an 4 Tagen pro Woche Unterricht, um die Personenanzahl in den Räumen nicht zu überschreiten. Stattdessen sollte ergänzend im Onlineunterricht versucht werden, die Inhalte in einer 90-minütigen Sitzung auf Zoom nachzuholen. Für die Kursteilnehmenden war dies oft ein Nachteil, da viele Inhalte wegfielen und sie zusätzliche Hausaufgaben bekamen. Diese mussten sie dann zuhause alleine lösen (Weserkurier, 20.08.20). Wie soll das funktionieren, wenn junge Menschen weder über die technische Ausstattung wie PCs oder W-Lan verfügen, noch jemand unterstützend zur Seite steht?!

Eine Ratsuchende aus dem Beratungscafé erzählt

„Ich konnte wegen Corona 5 Monate nicht zum Sprachkurs gehen. Eigentlich sollte unser B1 Kurs 6 Monate dauern, aber dann mussten wir 5 Monate am Stück Pause machen wegen Corona, später nochmal einen Monat. Deswegen hat der B1 Kurs 1,5 Jahre gedauert, eigentlich wären es nur 6 Monate gewesen. Und nach der Pause hatten wir auch viel vergessen, das war sehr stressig.“

Sprachcafés: Weniger Engagierte in den Online-Angeboten

Auch Pelin Kiyikci von „Gemeinsam in Bremen – Engagement von und für Neu-Bremer:innen“ erzählt, dass es Sprachcafés in Pandemiezeiten nicht leicht haben. „Die meisten Sprachcafés mussten schließen, aber digital haben sich Sprachtandems gefunden, die sich über WhatsApp oder andere Online-Plattformen ausgetauscht haben.“

Einige Einrichtungen versuchten, Sprachcafés auch online stattfinden zu lassen. Seit April bietet beispielsweise die Stadtbibliothek jeden Donnerstagnachmittag das „SprachCafé digital“ an. Weitere online Angebote zum Sprache lernen finden Interessierte auch auf der Veranstaltungsseite von „Gemeinsam in Bremen".

Kiyikci berichtet allerdings, dass vor allem ältere Ehrenamtliche ab 60 mit der Technik nicht klarkamen und darauf warteten, dass die Sprachcafés wieder öffneten. Daher gab es insgesamt weniger Engagierte, um Deutschlernende zu unterstützen, als vor der Pandemie.

Sprachcafés: Übersichtsseite von Gemeinsam in Bremen

Schließen und eingeschränkte Öffnung von Sportangeboten, Jugendtreffs und Freizis

Mit Ribanna Mitrovic vom Mädchen*zentrum in Gröpelingen und Adrian Keßelheim von der Naturfreundejugend Bremen haben wir darüber gesprochen, welche Auswirkungen es auf Kinder und Jugendliche hat, wenn außerschulische Freizeitangebote, wie Freizis oder Sportangebote geschlossen werden oder nur eingeschränkt öffnen können.

Auch für viele geflüchtete Jugendliche sind Freizis ein wichtiger Ort, wo sie Angebote außerhalb ihrer Familie wahrnehmen können und/oder Räume für Treffen, Hausaufgaben und Sport nutzen können.
Vollständig geschlossen waren die meisten Einrichtungen der offenen Jugendarbeit nur im ersten Lockdown im April/Mai 2020. Seitdem sind sie wieder geöffnet, allerdings mit Einschränkungen.

Beide Kolleg:innen berichten, dass die eingeschränkte Öffnung unter Auflagen zu hochschwellig und wenig attraktiv für Kinder und Jugendliche ist. Auch unterschiedliche Regelungen bei verschiedenen Trägern sind für Kinder und Jugendliche oft schwierig nachzuvollziehen. Auch im Winter waren Angebote oft nur draußen möglich, was für viele unattraktiv war. Außerdem fielen bestimmte Angebote völlig weg (Spiele, Kickern, etc.).

Jugendgerechte Arbeit in Freizis während der Pandemie nicht möglich

Ribanna Mitrovic sagt dazu: „Insgesamt ist eine wirklich jugendgerechte Arbeit unter den aktuellen Bedingungen nicht möglich. Jugendarbeit soll Freiräume schaffen, aktuell ist es aber eher so, dass die Freiräume der Jugendlichen hier eingeschränkt werden. Die Vorgaben sind oft strenger als in der Schule (weil das Kohortenprinzip nicht greift), oder in der Shoppingmall wo keiner genau hinguckt. Auch das wirkt sich natürlich insgesamt auf die Jugendlichen aus. Sie finden nicht mehr so oft in die Einrichtung und können sich, wenn, nur eingeschränkt ausleben. Es fehlt an Alternativen zum Elternhaus oder der Unterkunft. Die Teilnahme an Online-Angeboten ist oft aufgrund der eigenen Räumlichkeiten oder fehlendem W-Lan und/oder Endgerät erschwert.“

„Die Freizis waren teilweise noch offen, aber so eingeschränkt, dass es nicht attraktiv war.“
„Jugendliche wollen nicht nur mit ein/zwei Freund:innen kommen, sondern mit ihrer Clique […] Wenn die Regeln zu hochschwellig sind, weichen Jugendliche eher aus, in den Park oder an andere Orte.“
Adrian Keßelheim von Naturfreunde Bremen

Digitale Angebote erreichen Kinder und Jugendlichen nicht

Bei digitalen Angeboten sieht Keßelheim zwei Probleme. Einerseits erfüllen die Angebote nicht die Bedarfe der Jugendlichen. Denn im Gegensatz zu „analogen“ Angeboten der Jugendtreffs können die Jugendlichen sie nicht nutzen, um prekären Wohnverhältnissen zu entkommen und mal rauszukommen. Und außerdem sind diese Angebote teils exklusiv, denn einem Teil der Jugendlichen fehlten zunächst die digitalen Endgeräte (Computer, Smartphones) oder sie haben Zuhause keine Rückzugsmöglichkeiten, um in Ruhe an einem digitalen Angebot teilnehmen zu können. Das trifft besonders bei jungen Menschen mit Fluchterfahrung zu (Leben in ÜWHs, beengte Wohnverhältnisse, kaum Zugang zu digitalen Endgeräten/W-Lan etc.)

Deswegen gingen die Kontakte der Einrichtungen zu einem Teil der Bezugsgruppe im Laufe der Pandemie verloren. Das bedeutet laut Keßelheim auch, dass die Jugendlichen sich in dieser Zeit an Orten getroffen haben und treffen, die nicht pädagogisch begleitet wurden. Das heißt, Pädagog:innen konnten nicht mehr bei Entscheidungen zur Seite stehen, es gab keinen Ort, wo man mal mit Erwachsenen reden oder spielen konnte, und die Kinder und Jugendlichen waren ein Jahr lang überwiegend auf sich gestellt.

Von psychischen Auswirkungen der Schließung von außerschulischen Einrichtungen, vor allem im ersten Lockdown in 2020, parallel zur Schließung von Schulen und anderen Angeboten, berichtet auch Ribanna Mitrovic. Es war laut Mitrovic schwer diese ohne persönlichen Kontakt online aufzufangen.

„Suizidale Gedanken, Selbstverletzungen und Essstörungen haben extrem zugenommen“
Ribanna Mitrovic vom Mädchenhaus Bremen, e.V.

Sport und Bewegung haben vielen Jugendlichen besonders gefehlt

Neben Jugendtreffs fielen im außerschulischen Bereich vor allem auch Angebote der Sportvereine und Fitnessstudios, Fußballtraining, Fußballspiele weg. In Walle, wo Adrian Keßelheim arbeitet, war der Quartiersfußballplatz zwar offen, aber die Pädagog:innen durften nicht mitspielen; außerdem waren Regeln, wie Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren dürfen zusammen Fußball spielen, ältere aber nicht, laut Keßelheim in der offenen Jugendarbeit kaum durchzusetzen. Durch den Wegfall von Sportangeboten, sagt Keßelheim, fällt auch ein Ventil weg, sich Frust einfach mal von der Seele runterzulaufen, Sport funktioniert auch als Gewaltprävention.

Was wirklich in der Pandemie-Zeit mit weniger pädagogischer Begleitung im Leben der Jugendlichen geschehen ist, wird sich laut Keßelheim erst mit der Zeit herausstellen. Zurzeit ist es noch nicht möglich, langfristigere Folgen einzuschätzen.

Orte der Begegnung fehlten überall – Auch für die Freiwilligen und Nutzer*innen des Beratungscafés

Foto: Eine junge Frau und ein junger mann sitzen mit Masken an einem Tisch im Beratungscafé in der BuchteAuch in unserem Beratungscafé spürten die Ratsuchenden die Auswirkungen der Einschränkungen. Wir konnten (und können immer noch) viel weniger Menschen gleichzeitig unterstützen. Immer wieder haben wir versucht, Lern-Tandems auch an andere Orte zum Lernen und Sprechen zu schicken.

Zwischenzeitlich war beispielsweise die Stadtbibliothek ein guter Ort. Doch diese war in der ersten Jahreshälfte nicht als Ort für einen längeren Aufenthalt nutzbar. Somit blieb häufig nur die Buchte oder private Räume für ein Treffen. Punktuell nutzten Ratsuchende und Ehrenamtliche jedoch auch Online-Rooms, trafen sich digital und machten das Beste daraus. Durch die aktuell geringeren Corona-Fälle freuen wir uns, dass es jetzt wieder mehr Orte gibt, damit sich Tandems zum Deutsch sprechen und Lernen auch in Präsenz treffen können.

Hannah Dehning und Insa Bertram
Fluchtraum Bremen e.V.
03. Juni 2021