Ramadan in der Pandemiezeit – es fehlt die Gemeinschaft

Teil 4 der Artikelreihe "Abgahängt?! - Junge Geflüchtete in der Coronapandemie"

Ramadan in der Pandemiezeit – es fehlt die Gemeinschaft

Der Ramadan hat begonnen. Das bedeutet für viele muslimischen Ratsuchenden den Verzicht auf Essen und Trinken bis zum Sonnenuntergang. Der Glaube schenkt vielen geflüchteten Muslim:innen ein Gefühl von Sicherheit, vielleicht auch ein Gefühl von Heimat, während sie hier in einer zunächst ungewohnten Umgebung fern von Freund:innen und Familie ein neues Leben beginnen. Da die Lebenssituation von einigen durch die meist sehr unsichere Zukunftsperspektive, den Erwartungsdruck der Familie oder der oft schwierigen Wohnverhältnisse sehr belastet wird, gibt der Glauben eine zusätzliche Stütze. Es ist nun schon der zweite Ramadan in Zeiten der Corona-Pandemie. Doch wie lässt sich Ramadan in der Covid-19 Pandemie feiern? Wie geht es Muslim:innen in dieser Zeit?
Ramadan ist ein Fest der Familie und der Gemeinschaft. Man kommt am Abend zusammen, um gemeinsam das Fasten zu brechen. Es wird sich gegenseitig eingeladen, Familien und Freund:innen kommen zusammen. Dabei wird besonderes und vor allem viel Essen vorbereitet, gutes Fleisch und andere Dinge gekauft, die man sich sonst nicht leistet. Es wird erzählt und gelacht und bis spät in die Nacht Zeit zusammen verbracht. Dieser sehr soziale Aspekt des Ramadans wird durch die geltenden Corona-Beschränkungen verhindert.

Was ist Ramadan?

Ramadan ist die Zeit der inneren Einkehr und des Stärkens des Glaubens.
Ramadan ist eine der fünf Säulen des Islam.
Tagsüber wird auf verschiedene Dinge verzichtet wie Essen, Trinken oder Rauchen.
Abends kommen die Familien und Freunde zusammen, um zu beten und das Fasten zu brechen (arabisch Iftar) zusammen.
Ramadan ist auch ein Fest der Mildtätigkeit. Ärmere Menschen sollen zum Fastenbrechen eingeladen oder Essen gespendet werden.
Streit und negative Gedanken sollen vermieden werden. Das friedliche Miteinander steht im Vordergrund.
Kranke, alte Menschen, Kinder oder Schwangere sind vom Fasten ausgenommen.
Ramadan wird nach 30 Tagen durch ein gemeinsames Fest (Zuckerfest) beendet.

Ramadan ohne Gemeinschaft – „das ist traurig“

Das gegenseitige Besuchen und gemeinsames Fastenbrechen in größeren Gruppen ist durch die Zwei-Haushaltsregel nur sehr eingeschränkt möglich. Zusätzlich verhindert die geltende Ausgangssperre ab 22:00 Uhr, sich Zeit zum gemeinsamen Essen zu lassen. Die Sonne geht in Bremen momentan gegen 21:00 Uhr unter, vorher darf das Fasten nicht unterbrochen werden. Daher bleibt vielen entweder nur eine kurze Zeit zum gemeinsamen Essen oder man entscheidet sich, das Fastenbrechen alleine zu zelebrieren und auf die wertvolle Gemeinschaft zu verzichten.

Mamadou, ein ehemaliger Mentee, erzählt

„Man kann nicht gemeinsam beten, kochen oder essen. Ramadan ist eigentlich ein Monat der Gemeinschaft, das ist sehr traurig.“

Ramadan im Lockdown – Druck, Stress und Einsamkeit

Auch viele junge Geflüchtete, die wir über unsere Beratungsangebote kennen, sind traurig, dass sie den Fastenmonat nicht so feiern können wie bisher.
Viele leben noch in Gemeinschaftsunterkünften, in denen sie teilweise ohne eigene Kochmöglichkeit leben und sich ihr Zimmer mit anderen teilen müssen. Daher sind sie darauf angewiesen, bei Freund:innen zu kochen, die schon eine eigene Wohnung haben.

Dieses Zusammenkommen im Kreis der Freund:innen in einer privaten Wohnung bedeutet auch eine Möglichkeit sich zu entspannen und Kraft zu sammeln. Dies ist momentan nicht möglich, daher sind sie in dieser für sie sehr wichtigen Zeit der Besinnung und der Zusammenkunft noch stärker isoliert. Dabei bedeutet das Fasten für junge Menschen mit Fluchterfahrung ohnehin schon eine zusätzliche Belastung. In ihrer Heimat wird der Ramadan von der gesamten Gemeinschaft gefeiert, in Deutschland hingegen geht das Leben normal weiter und es gibt auch nur selten Rücksichtnahmen durch Ausbildungsbetriebe, Schulen oder Arbeitgeber:innen.

In unseren Angeboten erleben wir, wie erschöpft die jungen Menschen sind. Sie trinken und essen den ganzen Tag nichts, müssen tagsüber in die Schule oder ins Praktikum und danach häufig noch bis abends Hausaufgaben machen, Berichte schreiben oder Impftermine für Eltern organisieren. Gerade in den ersten Tagen des Ramadans kommen viele an ihre Belastungsgrenze. Da fehlen die Gemeinschaft und das abendliche Fastenbrechen zusätzlich.

Ratsuchende aus dem Beratungscafé erzählen

„Durch den Lockdown während des Fastenmonats wird mehr Druck auf mich ausgeübt, vor allem der zusätzliche Stress und die Einsamkeit belasten mich sehr. Die momentane Situation verhindert das Zusammenkommen von Freunden und Familie und den Austausch von Liebe und Menschlichkeit. Die Menschen leben in einem schrecklichen Zustand momentan.“
Buba

„Ramadan ist auch eine Zeit der Selbstreflektion und des Nachdenkens. Schlechte Gedanken soll man sich nicht machen.“
Ismaila

Zum Wohl der Gesellschaft auf Gemeinschaft verzichten

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslim*innen Aiman Mazyek sagte dazu in einem Interview mit dem SWR: „Ramadan ist ein Monat des Verzichts und nun müssen wir leider auch zum Wohle der Gesellschaft auf die Gemeinschaft ein Stück weit verzichten. Andere Aspekte des Ramadans wie das Koran lesen und die Selbstreflektion können praktiziert werden“

Jan Bahr, Fluchtraum Bremen e.V.
06. Mai 2021