COVID-19 und andere gesundheitliche Herausforderungen für junge Geflüchtete
Teil 3 der Artikelreihe "Abgehängt?! - Junge Geflüchtete in der Coronapandemie"
Coronapandemie – Hauptsache gesund?!
Im dritten Teil unserer Reihe soll es um die Gesundheit junger Geflüchteter gehen – Gesundheit im umfassenden Sinn als körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden. Die Corona-Pandemie ist eine Gefährdung für die Gesundheit von uns allen – unabhängig von unserer Herkunft oder Geschichte. Zwar sind vor allem ältere Menschen gefährdet, bei Ansteckung schwere Verläufe der Krankheit zu entwickeln. Doch mit der Verbreitung der neuartigen Coronavirus-Mutationen sind nun auch vermehrt junge COVID-Erkrankte auf den Intensivstationen. Insbesondere junge Menschen mit Vorerkrankungen (Diabetes, COPD etc.) sind häufiger von schweren Verläufen betroffen.
Wie geht es jungen Geflüchteten in Deutschland in diesen Zeiten?
Die direkten Auswirkungen des Virus auf das gesundheitliche Leben machen jungen Menschen mit Fluchtgeschichte schwer zu schaffen. Manche waren an COVID-19 erkrankt, andere haben Angst, sich noch anzustecken oder sogar Folgeschäden der Erkrankung zu erleiden („Long-Covid“). Doch welche indirekten Auswirkungen haben die Pandemie und die soziale Isolierung auf das Leben der jungen Menschen? Wie geht es jungen Geflüchteten in diesen Zeiten? Welche Sorgen beschäftigen sie? Was bedeuten die gesellschaftlichen Einschränkungen für ihren Körper und ihre Psyche?
Ali Issa, Ehrenamtlicher mit Fluchterfahrung erzählt
„Man fühlt sich traurig, wenn man hört: ‚Bitte Abstand‘. Natürlich brauchen wir Abstand, aber das bleibt ein Gefühl und man fragt sich ‚Was meint er wirklich? Möchte er Abstand, weil ich Ausländer bin, oder wegen Corona?“
Sammelunterkünfte als gesundheitliches Risiko
Die Covid-19-Pandemie verstärkt die gesundheitlichen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft. Im ersten Teil „Wohnen als sicherer Ort für junge Geflüchtete in Coronazeiten“ wurde bereits angesprochen, dass Bewohner:innen in Sammelunterkünften i.d.R. Schutzmaßnahmen nicht einhalten können. Durch die räumlich beengten Verhältnisse sind Social Distancing oder Hygienemaßnahmen nur schwer umzusetzen und der Virus kann sich schneller ausbreiten. So haben sich im März 2020 150 Bewohner:innen einer Asylunterkunft in Bremen angesteckt (Weser Kurier, 08.04.2021).
Vor allem wird das psychische und körperliche Wohlbefinden der Menschen durch das „Festsitzen“ im Wohnheim beeinträchtigt. Wenig Freizeitmöglichkeiten, kaum Abwechslung und wenig Kontakte nach außen schlagen sich in der Stimmung der Menschen nieder.
Ein Ehrenamtlicher aus dem Beratungscafé erzählt
„Die Langeweile in den Heimen macht viele Leute traurig und krank“
Ungesicherter Aufenthaltsstatus -
gefährdete Gesundheit?
Besonders problematisch ist die Lage für diejenigen, die keinen gesicherten Aufenthalt haben. Asylbewerber:innen und geduldete Menschen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind, haben lediglich einen Anspruch auf eine gesundheitliche Notversorgung. Sie werden also nur bei akuten Erkrankungen medizinisch versorgt. Im Vergleich zu anderen Bundesländern, in denen ein Arztbesuch zumeist mit einer bürokratischen Hürde verbunden ist, ist es vorbildlich, dass Bremen seit 2015 eine elektronische Gesundheitskarte eingeführt hat. Geflüchtete können so mit ihrer Karte direkt zu Ärzt:innen gehen und ersparen sich den Weg zur Behörde.
Glücklicherweise hat es in Bremer Sammelunterkünften durch gut ausgearbeitete Schutzkonzepte und konsequenter Isolation von Infizierten seit den Vorfällen im März 2020 keine größeren Corona-Ausbrüche mehr gegeben. Neuankömmlinge werden direkt getestet und separat in einem isolierten Flur untergebracht. Allerdings kritisiert der Flüchtlingsrat schon seit Monaten, dass die Art der Unterbringung für die neuankommenden Geflüchteten unerträglich sei und sie teilweise keine Decken besäßen. Ab dem 20. April sollen in den Unterkünften nun auch die Impfungen mithilfe von mobilen Teams starten (Weser Kurier, 08.04.21).
Radiobeitrag im Deutschlandfunk: Ankommen in Zeiten der Pandemie
Infos in einfacher Sprache/mehrsprachige Infos fehlen häufig
Für Geflüchtete mit geringen oder fehlenden Sprachkenntnissen sind Infor-mationen zu präventiven Maßnahmen und aktuellen Corona-Verordnungen der jeweiligen Bundesländer oft nicht barrierefrei verfügbar. Auf der Website der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport sind Informationen in verschiedenen Sprachen eingestellt. Fluchtraum Bremen e.V. und andere Akteure in Bremen stellen mehrsprachige Informationen zur Verfügung. Aber: die Reichweite ist begrenzt und nicht alle werden erreicht.
Website mit mehrsprachigen Infos zu Corona
Homeoffice/Homeschooling für viele nicht möglich
Besonders stark betroffen von der Pandemie sind Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status, unter ihnen auch viele junge Geflüchtete, die sich noch keine finanzielle Sicherheit in Deutschland aufbauen konnten. Die Empfehlung im Homeschooling zu lernen/im Homeoffice zu arbeiten, um das Ansteckungsrisiko zu senken, ist für viele nicht möglich, weil sie nicht über die erforderliche EDV-Ausstattung verfügen bzw. in Arbeitsbereichen tätig sind, die aufgrund der hohen Kontaktdichte wenig Schutzmöglichkeiten bieten.
Erfahrungsbericht einer jungen Frau aus Syrien
„Seit wir Corona haben, geht es mir nicht so gut, weil wir in unseren Freiheiten sehr eingeschränkt wurden. Zum Beispiel dürfen wir uns nicht mehr mit einer Gruppe von Freunden treffen oder man darf nicht mehr zum Sport gehen. Das macht mir sehr zu schaffen, weil ich sehr gerne zum Sport gegangen bin. Mein Geisteszustand ist jetzt nicht der gleiche wie vor der Quarantäne. In dieser Zeit habe ich sehr viel Süßigkeiten gegessen, weil das das Einzige, das mir geholfen hat gegen die Depression. Deshalb habe ich acht Kilo zugenommen, obwohl ich weiß, dass die Süßigkeiten nicht gesund sind. Aber ich hatte keine Kontrolle über die Situation, in der ich mich befinde. Das schlimmste für mich ist aber, dass ich nicht so viel Deutschlernen konnte wie vorher. Ich konnte keine Menschen treffen, mit denen ich sprechen konnte. Das war immer in meinem Kopf. Für mich ist Deutsch lernen sogar wichtiger als meine eigene Gesundheit.“
Lockdown, Langeweile, Loneliness …
Allgemein bekannt ist, dass sich die Pandemie negativ auf die psychische Gesundheit auswirkt. Insbesondere bei jungen Menschen, die auf der Flucht und beim Ankommen in Deutschland traumatisierende Erlebnisse erfahren haben, können diese – darauf weisen Studien hin - durch die Pandemie wieder ausgelöst werden und sich somit psychische Probleme verstärken. Außerdem sehen sich vor allem geflüchtete Kinder durch die Pandemie zunehmend Gewalterfahrungen, Depressionen und Angstzuständen ausgesetzt.
Die Maßnahme des „Social Distancing“ verstärkt bei vielen Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund das Gefühl der Einsamkeit und Abgeschnittenheit von ihrer Umwelt. Der Aufbau eines sozialen Umfelds, welches positiven Rückhalt gibt, wird durch die Pandemie erschwert, vorhandene Kontakte können kaum aufrechterhalten werden. Der fehlende Austausch mit Gleichaltrigen, das Erleben von Neuem und Inspiration, aber auch das Zurückbleiben in der (Sprach)schule oder Einschränkungen beim Lernen im Homeschooling führen bei vielen jungen Geflüchteten zu zusätzlichen seelischen Belastungen.
Ein Ratsuchender im Beratungscafé erzählt
„Wir kriegen Briefe von dem Jobcenter oder der Ausländerbehörde und da stehen tausend Sachen. Wir können nicht einfach mehr hingehen zur Behörde und fragen ‚Können Sie mir helfen, ich habe den Brief nicht verstanden‘.“
Kontinuierliche Begleitung bei psychischen Erkrankungen erschwert
Schon vor der Pandemie litten Kinder und Jugendliche mit Fluchtgeschichte 20-mal mehr an posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Gereiztheit, Schlafstörungen und weiteren somatischen Störungen als Kinder ohne Fluchterfahrung. Darum sind viele junge Geflüchtete auf eine kontinuierliche therapeutische Begleitung angewiesen, um sich besser in ihre Umwelt einzufinden und mit dem Erlebten umzugehen. Seit Beginn der Pandemie wurde diese Regelmäßigkeit durch Kontakteinschränkungen beeinträchtigt. Zudem sind verschiedene Therapieformen wie Gruppentherapien so nicht mehr möglich. Bessere Test- und Impfmöglichkeiten geben den Betroffenen allerdings Hoffnung.
Anlaufstellen nicht/nur eingeschränkt erreichbar
Durch die geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind insgesamt weniger Beratungseinrichtungen, an die sich Kinder und Jugendliche wenden können, geöffnet. Auch ein Austausch mit anderen, die Ähnliches erlebt haben, oder mit helfenden Instanzen ist nicht möglich. Viele dieser Einrichtungen stellen zurzeit Online-Angebote für Hilfesuchende bereit, jedoch ersetzen diese nicht den persönlichen Kontakt. Ali Issa, der ehrenamtlich im Beratungscafé arbeitet, sagt, dass für viele Menschen die Ansprechpartner vor Ort fehlen. Fragen können nicht mehr direkt geklärt werden, vieles dauert länger, ist komplizierter geworden.
Zwar versuchen Beratungsstellen wie Fluchtraum Bremen e. V. auch weiterhin zu unterstützen, trotzdem fühlen sich viele Menschen zurückgelassen
Körperlich, seelisch und sozial gesund bleiben -Es ist wichtig zu wissen, wer helfen kann.
Die Corona-Pandemie stellt für alle eine komplexe Belastungssituation dar, welche auch nicht spurlos an den jungen Geflüchteten vorbeigeht. Ungewissheit, Ängste um die Gesundheit, Zukunftsängste und das Unwissen zur weiteren Entwicklung der Pandemie stellen eine enorme Belastung dar. Gerade für Heranwachsende sind das Virus und die damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen eine besonders große Herausforderung: Sie wollen sich ein soziales Umfeld aufbauen, neue Orte und Erfahrungen erleben, unabhängiger werden, eigene Wege gehen. Die Pandemie macht die ersten Schritte ins Erwachsenenleben für die jungen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung nicht einfacher. In diesen Zeiten ist es umso wichtiger, jungen Geflüchteten zu zeigen, dass es Unterstützungsangebote gibt und sie diese wahrnehmen können.
Beratungscafé, Mädchentreff und Lotsenprogramm – Anlaufstellen für junge Menschen mit Fluchterfahrung
Unsere Beratungsangebote sind weiterhin geöffnet: Mit Terminvereinbarung + Masken + Hygienemaßnahmen bieten wir im Mädchentreff jeden Montag von 15:30 bis 18:00 Uhr und im Beratungscafé jeden Donnerstag zwischen 14:30 und 19:00 Uhr Unterstützung in Alltagsfragen an (Bewerbung, Umgang mit Behördenschreiben, Wohnungssuche, Hausaufgabenhilfe, Deutschlernen etc.). Zusätzlich können wir über unser Lotsenprogramm auch Begleitungen zu Terminen organisieren.
Hannah Dehning (Fluchtraum Bremen e.V.)
und Pia Semmerow, Pernilla Heine sowie Charotte Rust (ehrenamtliche Mithilfe)
14. April 2021