Beratungscafé mit Lerntreff

Ein Erfahrungsbericht von Sandra Schöpke

Wie ist das Beratungscafé entstanden?

Die Idee, ein Beratungscafé für junge Menschen mit Fluchterfahrung ins Leben zu rufen, ist im Zusammenhang mit dem „Offenen Jugendcafé“ im Jugendhaus Buchte entstanden, ein Angebot, das Fluchtraum Bremen e.V. seit 2016 mit einer Hauptamtlichen und einer Ehrenamtlichen unterstützt.

Das „Offene Jugendcafé“ bietet Jugendlichen mit und ohne Fluchterfahrung einmal wöchentlich einen Ort der Begegnung, an dem gespielt, gekickert, gequatscht, Kaffee und Tee getrunken, Hausaufgaben erledigt, Sprachen gelernt, gemeinsam gekocht oder einfach nur abgehangen werden kann. Im Kontakt mit den Jugendlichen ist nach und nach deutlich geworden, dass diese zunehmend auch Anliegen mitbrachten, für deren Bearbeitung der Rahmen des Jugendcafés jedoch nicht angemessen erschien.

Vor diesem Hintergrund hat Fluchtraum Bremen e.V. im Jahr 2016 im „Offenen Jugendcafé“ eine niedrigschwellige Beratung angeboten. Es zeigte sich schnell, dass an einem Nachmittag – neben dem Freizeitprogramm des „Offenen Jugendcafés“ – zu wenig Zeit und Raum für die Anliegen der jungen Menschen blieb. In Abstimmung mit dem Team im Jugendhaus Buchte hat Fluchtraum Bremen e.V. dann das eigene Angebot des „Beratungscafés für junge Geflüchtete“ auf den Weg gebracht und damit im August 2017 gestartet.

Ein Bekannter, der ebenfalls bei Fluchtraum Bremen tätig ist, machte mich damals auf die Ausschreibung von Fluchtraum Bremen e.V. für eine ehrenamtliche Tätigkeit mit Aufwandsentschädigung im Beratungscafé aufmerksam. Eine dortige Mitarbeit kam mir gerade sehr gelegen, zum einen weil ich auf der Suche nach einer Tätigkeit neben meinem Masterstudium war und zum anderen, weil ich nach meinem Bachelorstudium der Sozialarbeit bereits in der Jugendhilfe mit jungen Geflüchteten zusammenarbeitete und gerne wieder in diesem Bereich tätig sein wollte.

Besonders die Aussicht darauf, das Beratungsangebot von Beginn an selbst mitgestalten und eigene Ideen einbringen zu können, gefiel mir sehr gut. Gemeinsam mit Y., einem Jugendlichen, der selbst Fluchterfahrung hat, eröffnete ich dann im August 2017 das erste Mal die Türen im Jugendhaus Buchte für die Anliegen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Koordiniert wurde das Beratungscafé durch eine hauptamtliche Mitarbeiterin von Fluchtraum Bremen e.V. Zu Beginn hatten wir jeden Donnerstag für drei Stunden geöffnet, wobei Y. und ich in den ersten Wochen manchmal auch alleine im Beratungscafé waren, da nur wenige Jugendliche den Weg in die Buchte fanden.

Vor allem durch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ der Jugendlichen hat sich das Beratungsangebot dann jedoch sehr rasch verbreitet, so dass Fluchtraum Bremen e.V. aufgrund der steigenden Besucher:innenzahlen die Öffnungszeiten stetig erweitert hat. Inzwischen hat das Beratungscafé mittwochs und donnerstags von 14:30 Uhr bis 19:00 Uhr geöffnet. Seit April 2018 findet zusätzlich ein Lerntreff mit Hausaufgabenhilfe sowie Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache und bei Prüfungsvorbereitungen statt. Außerdem gibt es seit November 2019 jeden Montag von 15:30 Uhr bis 18:00 Uhr einen Mädchentreff, in dessen Rahmen speziell die Anliegen von Mädchen und jungen Frauen mit Fluchterfahrung Gehör finden.

Wer kommt ins Beratungscafé?

Zu Gründungszeiten des Beratungscafés wurde die Mehrheit der Jugendlichen, die das Beratungscafé aufsuchten, noch im Rahmen der Jugendhilfe betreut. Mittlerweile liegt der lange Sommer der Migration schon eine Weile zurück und viele der jungen Erwachsenen sind auf sich alleine gestellt. Während durch die Beendigung der Jugendhilfe wichtige Ansprechpersonen wegfallen, bleiben offene Fragen in Bezug auf schulische Angelegenheiten, die berufliche Zukunft, den Umgang mit Behörden oder auch die Bewältigung des Alltags in Deutschland häufig bestehen.

Diese Lücke ein Stück weit zu schließen, war von Beginn an ein zentrales Anliegen des Beratungsangebots von Fluchtraum Bremen e.V. Das Beratungscafé und der Lerntreff werden jedoch seit jeher auch von jungen Erwachsenen wahrgenommen, denen wegen ihres prekären Aufenthaltsstatus noch nie Unterstützung im Rahmen der Jugendhilfe gewährt wurde. Darüber hinaus nutzen das Angebot auch Jugendliche, die gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Familienangehörigen sowie junge Erwachsene, die mit ihrer eigenen Familie in Bremen leben.

Das Beratungscafé wird vor allem von jungen Männern zwischen 18 und 27 Jahren in Anspruch genommen; seit Eröffnung des Mädchentreffs finden jedoch auch immer mehr junge Frauen den Weg in die Buchtstraße.

Welche Anliegen bringen die jungen Menschen mit?

Ein zentrales Anliegen von vielen der Ratsuchenden, die das Beratungscafé aufsuchen, ist die Verbesserung und Erweiterung ihrer Deutschkenntnisse. Während sich in den Anfängen die Mehrheit der Jugendlichen auf Deutschprüfungen der Niveaustufe A1 oder A2 vorbereiteten, unterstützen wir inzwischen viele Jugendliche bei der Vorbereitung auf das B2 oder teils auch das C1-Zertifikat. Da mittlerweile auch viele junge Geflüchtete eine reguläre Schule oder im Rahmen ihrer Ausbildung oder Einstiegsqualifizierung eine Berufsschule besuchen, wird der Lerntreff zudem viel genutzt, um dort – entweder alleine oder mit Unterstützung – Schularbeiten wie etwa in Mathe, Englisch, Geschichte, Chemie, Rohstoffkunde oder Metalltechnik zu erledigen, ein Referat vorzubereiten oder das Ausbildungsberichtsheft auszufüllen.

Großen Bedarf unter den Jugendlichen gibt es außerdem in Bezug auf die Suche nach einem geeigneten Praktikum, einem Ausbildungsplatz oder einer beruflichen Tätigkeit. Im Beratungscafé erhalten die Jugendlichen neben einer niederschwelligen Berufsberatung insbesondere auch Unterstützung beim Schreiben von Bewerbungen und Erstellen von Lebensläufen.

Daneben unterstützen wir auch viele bei Behördenangelegenheiten wie der Beantragung von Sozialleistungen, Kindergeld oder einem Wohnberechtigungsschein sowie bei Postangelegenheiten mit Banken, Vermieter:innen, Strom- oder Telefonanbietern. Das Beratungscafé wird ebenso aufgesucht, um Unterstützung bei der Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen zur Aufnahme eines Studiums, bei der Vorbereitung auf den Einbürgerungstest oder die theoretische Führerscheinprüfung sowie der Schuldenregulierung zu erhalten.

Auch der Wunsch nach einer ehrenamtlichen Mentorin oder einem Einzelvormund, die Fluchtraum Bremen e.V. an unbegleitete minderjährige und junge volljährige Geflüchtete vermittelt, führt diese ins Beratungscafé. Ein Anliegen, das insbesondere seit Herbst 2019 sehr viele mitbringen, ist die Unterstützung bei der Wohnungssuche – ein Anliegen, dessen Erfüllung sich aufgrund der aktuellen Lage und Beschaffenheit des Wohnungsmarkts oftmals als sehr schwierig gestaltet und von allen viel Geduld erfordert.

Viele der jungen Menschen kommen aber auch, weil sie sich über eine Mitgliedschaft in einem Sportverein, kulturelle Angebote, ein Sprach- Tandem oder die Möglichkeiten, sich in Bremen freiwillig zu engagieren, informieren wollen. Für die gemeinsame Bearbeitung all dieser Anliegen gibt es inzwischen insgesamt vier Laptops und einen Drucker, die für alle zur freien Verfügung stehen, so dass die jungen Menschen auch selbstständig Dinge erledigen können. Häufig haben sie aber auch gar kein konkretes Anliegen, sondern nutzen das Beratungscafé als Treffpunkt, um sich mit anderen Jugendlichen oder den freiwillig Aktiven auszutauschen, gemeinsam Tee zu trinken oder einfach nur zu chillen.

Wer kommt, um sich freiwillig zu engagieren?

Neben den hauptamtlichen Mitarbeiter:innen von Fluchtraum engagiert sich eine Vielzahl von freiwillig Aktiven aus unterschiedlichsten Kontexten im Beratungscafé. Genauso wie ich engagieren sich viele der Freiwilligen neben ihrem Studium im Beratungscafé, es kommen aber auch Menschen, die bereits im Ruhestand sind und im Beratungscafé ihre Lebenserfahrungen an junge Menschen weitergeben und gleichzeitig von den Ideen und Erfahrungen der jungen Geflüchteten lernen wollen. Wieder andere sind berufstätig, wie zum Beispiel ein Grundschullehrer, der durch das Beratungscafé die Chance nutzen will, auch mit älteren Jugendlichen in Kontakt zu kommen und sie bei ihren Schulaufgaben zu unterstützen. Ein junger Student wiederum engagiert sich im Beratungscafé, um „jungen Menschen mit Fluchterfahrung solidarisch zur Seite zu stehen. Gerade durch die alltäglichen Herausforderungen, die man als Aktive*r während des Beratungscafés mitbekommt, versteht man etwas mehr, wie viele gesellschaftliche Hürden es als geflüchtete Person nach wie vor gibt.“

Diese Hürden kennen die jungen Menschen, die selbst eine Fluchtgeschichte haben, am allerbesten, weswegen es sehr wertvoll für das Beratungscafé ist, dass sich dort auch immer mehr junge Geflüchtete engagieren, die einst selbst kamen, um Unterstützung zu erhalten und jetzt ihre Erfahrungen an andere Jugendliche weitergeben: „Ich bin beim Beratungscafé, weil es für mich dort wie ein zweites zuhause ist, es gibt eine Familie dort für einen, man bekommt Hilfe, man gibt Hilfe, man gibt Menschen was zurück, die sie benötigen!“

Wie kann man sich die Beratungssituation vorstellen?

Mit dem Angebot im Beratungscafé wird grundlegend ein sehr niederschwelliger Ansatz verfolgt, wobei wir versuchen, möglichst alle Anliegen, die die jungen Menschen mitbringen, direkt vor Ort zu klären und nicht an andere Stellen weiterzuvermitteln. Eine Weitervermittlung erfolgt zumeist nur bei komplexen (aufenthalts-)rechtlichen Fragestellungen, wenn das Beratungsanliegen die Kapazitäten des Beratungscafés übersteigt oder spezifische Kompetenzen anderer Beratungsstellen benötigt werden.

Im Beratungscafé werden keine Einzeltermine vergeben, wodurch die Jugendlichen mit ihren Anliegen jederzeit zu den Öffnungszeiten kommen können – vor Ort klären wir dann gemeinsam, wie und wem das Anliegen bearbeitet werden kann. Je nach Besucher:innenzahl wird sich in einem Raum teilweise mehr als zehn Anliegen gleichzeitig gewidmet: Während an dem einen Tisch gemeinsam Deutsch, Mathematik oder Rohstoffkunde gelernt wird, werden an einem anderen Tisch Wohnungen gesucht und Bewerbungen geschrieben und wieder an einem anderen Tisch ein Kindergeldantrag ausgefüllt oder gemeinsam Tee getrunken und Kekse gegessen.

Diese Beratungsatmosphäre wird nicht nur von Ratsuchenden selbst, sondern auch von einem freiwillig Aktiven sehr positiv wahrgenommen: „Was ich am Beratungscafé aber besonders schätze ist, dass es Raum für ganz unterschiedliches bietet. Während manche konkret nach Unterstützung suchen, kommen andere (und das teilweise seit Jahren) um zu quatschen, sich auszutauschen oder einfach nur abzuhängen. Diese Offenheit und Ungezwungenheit finde ich besonders und ich bekomme auch immer wieder mit, dass viele der am Beratungscafé beteiligten Personen, diese Offenheit besonders schätzen.“

Wenn es sich nicht gerade um ein vertrauliches Anliegen handelt, für deren Bearbeitung es auch die Möglichkeit gibt, in den Nebenraum zu wechseln, entsteht hierdurch nicht nur eine sehr offene Atmosphäre, sondern auch die Möglichkeit, dass sich die jungen Menschen untereinander in ihren Anliegen unterstützen können. Denn das Beratungscafé will kein „Dienstleistungsunternehmen“ sein, sondern ein Ort, an dem die jungen Geflüchteten zu einer selbstständigen Bearbeitung ihrer Anliegen ermächtigt und ihre Möglichkeiten einer selbstbestimmten Partizipation an der Gesellschaft gefördert werden.

So sagt ein junger Mann, der einst selbst ins Beratungscafé kam, um dort Unterstützung zu erhalten: „Ich engagiere mich im Beratungscafé, weil ich weiß, dass auch der einfachste Mensch einem dort helfen kann, einen anspornen kann, etwas zu bewirken. Und damit zeige ich etwas Wertvolles, das auch ich selbst gelernt habe. Ich bin gerne im Beratungscafé, weil ich gelernt habe, dass es auf jeden und jede ankommt und jeder und jede ist wichtig, damit sich das Rad im Leben weiterdrehen kann.“

Was man vielleicht sonst noch wissen sollte

Das Beratungscafé hat sich seit seiner Gründung stetig weiterentwickelt, wobei auch immer versucht wurde, auf die Ideen und Anliegen der jungen Geflüchteten einzugehen. So werden aus dem Beratungscafé heraus – zusammen von den jungen Menschen und den freiwillig Aktiven – des Öfteren gemeinsame Freizeitaktivitäten geplant und umgesetzt. Unter dem Motto „WE THE FUTURE – Wissen“ hat Fluchtraum Bremen e.V. in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Pflegekinder e.V. im Jahr 2019 mehrere Workshops angeboten, einen davon zum Beispiel mit dem Titel „Rassismus, Du erlebst es – ich weiß, ich auch!“. In die Konzeptionierung und Durchführung waren neben Hauptamtlichen auch engagierte junge Geflüchtete aus dem Beratungscafé involviert. Außerdem können die Ratsuchenden seit November 2019 neben dem regulären Angebot im Beratungscafé auch eine persönliche Begleitung zu Außenterminen bekommen. Hauptamtliche und freiwillige Lots:innen begleiten die Jugendlichen zum Beispiel zu Behörden, zum Jobcenter, zu Beratungs- und Anlaufstellen, Kultur- und Freizeitangeboten oder zum Besichtigungstermin einer Wohnung.

Und warum engagiere ich mich immer noch gerne im Beratungscafé?

Im Sommer 2020 feiert das Beratungscafé seinen dritten Geburtstag und wenn ich heute gefragt werde, was das Beratungscafé ist, so denke ich – wie andere freiwillig Aktive und junge Ratsuchende auch – an erster Stelle immer an die offene Atmosphäre und besondere Beratungssituation. Eine Beratungssituation, in der die Beratung nicht hinter vier Wänden und unter vier Augen stattfindet, sondern in der verschiedene Anliegen an einem Tisch bzw. in einem Raum bearbeitet werden.

Dadurch wird es meines Erachtens auch möglich, ein Problembewusstsein unter den jungen Geflüchteten zu schaffen, das nicht sie selbst verantwortlich macht für bestimmte Situationen oder Problemlagen, in denen sie sich befinden, sondern sie auch mitbekommen, dass es vielen anderen jungen Menschen ähnlich geht und die Ursachen dafür mit strukturellen Gegebenheiten und teils auch rassistischen Momenten verbunden sind – zum Beispiel, wenn ein junger Mensch mit Fluchterfahrung nach langer Suche immer noch keine Wohnung gefunden hat.

Besonders schön finde ich außerdem, dass viele der jungen Erwachsenen bereits seit vielen Jahren ins Beratungscafé kommen – teilweise ohne konkretes Anliegen, einfach nur um sich auszutauschen, teilweise mit neuen Anliegen und teilweise auch, um andere junge Menschen als freiwillig Aktive(r) zu unterstützen. Über die Zeit lernt man so viele der jungen Menschen gut kennen. Natürlich ist es aber auch immer schön, wieder ein neues Gesicht kennenzulernen.

Bremen, April 2020